Lesezeit: 7 Min. | Anhören: 9:40 Min.
Intro (Audios zu den Fragen findest du unten bei jeder Frage)
„Ich bin aufrecht im Bett gesessen und hab‘ mich gefragt: ‚Bitte wer macht so etwas? Wer denkt sich so eine schlimme Geschichte aus?'“
Ich telefoniere mit Elisabeth und sie ist sehr aufgeregt. Sie leitet ein bekanntes Weiterbildungszentrum für Erwachsene in Wien und wir entwickeln gerade gemeinsam einen Kurs über digitale Medien und Sucht.
Sie hat mich schon zum zweiten Mal innerhalb von ein paar Tagen auf die Serie angesprochen. Zu diesem Zeitpunkt kenne ich Adolescence noch nicht. Aber ich habe schon gemerkt, dass die Serie viel Aufmerksamkeit bekommt.
„Du musst dir das jetzt unbedingt ansehen. Und dann sprechen wir darüber.“
Ja gut, überzeugt.
Aber ich schaue untertags, nicht am Abend. Ich brauche volle Konzentration. Als ich am Vormittag beginne, ahne ich noch nicht, dass ich die komplette Serie an diesem Tag ansehen werde. Am Handy, im Zug, und sogar noch an der Straßenecke vor dem Lokal, in dem ich später Freund:innen treffe.
Es zieht mich voll rein. Irre Geschichte, wirklich gut gemacht. Diese Serie wird heuer Preise gewinnen.
Die häufigsten Fragen, die ich seit dem Start von „Adolescence“ in Vorträgen gestellt bekomme:
Ist das eine wahre Geschichte?
Es ist kaum vorstellbar.
Teenager die Teenagerinnen umbringen? Ist das wahr?
Die Handlung von „Adolescence“ erzählt KEINE wahre Geschichte nach.
Die Erzählung basiert jedoch lose auf mehreren Mordfällen, die zwischen 2021 und 2023 in Liverpool, London und Warrington passiert sind:
November 2021 – Ein 12-jähriges Mädchen wurde von einem 14-jährigen Jungen in Liverpool ermordet.
Februar 2023 – Ein 16-jähriges Transgender-Mädchen wird im nordenglischen Warrington von einem Jungen und einem Mädchen (beide 15 Jahre) ermordet.
September 2023 – Ein 17-jähriger Junge erstach ein 15-jähriges Mädchen an einer Bushaltestelle in Südlondon.
Radikalisierung im Internet – Kann das meinem Kind auch passieren?
Kurz gesagt: Ja.
Extreme religiöse, antifeministische oder rechtsextreme Gruppen rekrutieren in Spielen, Foren und sozialen Netzwerken, die von den meisten Kindern und Jugendlichen genutzt werden. Sie streamen auf Youtube, laden Videos auf TikTok und Instagram hoch und chatten über gängige Apps wie Telegram.
Keine Panik – Nicht jedes Kind, das YouTube oder TikTok nutzt, wird sich radikalen Gruppen anschließen. Die Chance, dass dein Kind gelegentlich Inhalte von diesen Gruppen sieht, ist jedoch hoch.
Sprecht darüber!
Sprich regelmäßig zuhause über Inhalte aus sozialen Netzwerken. Frag dein Kind, was es sich ansieht, interessiere dich für Influencer:innen und Youtuber:innen, denen dein Kind folgt.
Gib deinem Kind Handlungsalternativen, für den Fall, dass Inhalte am Bildschirm auftauchen, die sich komisch anfühlen, Angst machen oder extremistisches Gedankengit enthalten. Bereite dein Kind darauf vor, dass es solche Inhalte gibt.
So baust du eine vertrauensvolle Gesprächsbasis und kannst reagieren, falls dir gefährliche Inhalte auffallen.
Hat mein Kind Kontakt zu Fremden oder fremden Erwachsenen im Internet?
Wenn dein Kind Online-Spiele spielt oder in sozialen Netzwerken aktiv ist, ist die Chance hoch, dass dort Kontakt zu fremden Jugendlichen oder Erwachsenen stattfindet.
(Ich bin regelmäßig in Schulklassen von der 4. bis zur 12. Stufe. Bereits in der Volksschule / Grundschule wurden 30-60% der Kinder bereits einmal oder mehrmals von Fremden im Internet angesprochen)
Sprich mit deinem Kind darüber, dass es Erwachsene gibt, die in Online-Spielen und sozialen Netzwerken Kontakt zu jungen Menschen aufbauen wollen.
Sie suchen nach Jugendlichen, die orientierungslos sind, keinen Zukunftsplan haben und nach Anerkennung und Zugehörigkeit zu einer Gruppe suchen.
Wenn man darauf vorbereitet ist, erkennt man die Vorgehensweise leichter.
Wo nehmen radikale Gruppen Kontakt mit Jugendlichen auf?
Du musst nicht ins Darknet und es gibt auch keine Eintrittshürden wie Codes oder ähnliches.
Extreme Gruppierungen bewegen sich überall dort, wo viele Menschen aktiv sind. In beliebten Spielen, in viel genutzten Foren und Chatgruppen, in großen sozialen Netzwerken.
Sie sind nicht unsichtbar, sie sind einfach da. Mittendrinn zwischen all den anderen Inhalten.
Frag dein Kind, ob es Freund:innen im Netz hat, andere Kinder, die es nur aus Spielen kennt, oder ob es schon mal Nachrichten von Fremden bekommen hat.
Interessiere dich für die Spiele und Netzwerke, die dein Kind nutzt. Probier sie selbst aus und spiel eine Runde mit.
Woran merke ich, dass mein Kind sich online radikalisiert?
Es gibt einige Signale, bei denen du aufmerksam sein solltest, sie können auf Kontakt zu radikalen Ideologien hindeuten:
Zieht sich jemand aus der Familie oder aus dem Freundeskreis zurück?
Verändert eine Person ihr Verhalten, Aussehen oder Auftreten auf eine ungewöhnliche Art?
Verändern sich die Interessen in der Freizeit stark oder verschlechtern sich die Schulleistungen?
Fallen dir problematische Äußerungen oder neue, extreme Ansichten auf (z. B. über Frauen oder Migrant:innen)
Im Verdachtsfall hast du im Rahmen deiner Aufsichtspflicht die Pflicht „Nachschau zu halten“.
Das bedeutet: Sicherstellen, dass dem Kind nichts passiert. Wenn es um dein Kind geht, versuch, in Kontakt und im Gespräch zu bleiben und interessiere dich für Inhalte, die dein Kind konsumiert.
Ab einem gewissen Alter redet dein Kind vielleicht nicht gerne mit dir. Mach auf andere Angebote (z. B. Hilfsangebote für Jugendliche) oder andere Erwachsene aus eurer Umgebung (Verwandte, Freund:innen, Lehrkräfte) aufmerksam.
Beratung & Hilfe
Beratungsstelle für Extremismus (AT)
Tel: 0800 20 20 44 (Montag bis Freitag, 10.00-15.00 Uhr)
E-Mail: office@beratungsstelleextremismus.at
Wo finde ich ausführlichere Informationen?
Ich teile hier ein paar Bücher und Links, die ich selbst sehr hilfreich fand.
Die Bücher, Podcasts und Dokus helfen dir, das Ausmaß der Radikalisierung zu erfassen und du erfährst Details über einzelne Inhalte, Gruppen und ihre Arbeitsweise.

Ö1 Matrix „Adolescence: Frauenhass und die Krise der Männlichkeit“
In der Sendung werden die wichtigsten Begriffe aus der „Mannosphere“ erklärt, welche Rollenbilder und Schönheitsideale verfolgt werden, wo und wie Jugendliche rekrutiert werden und warum sie die Ideologien ansprechend finden. (Podcast von Daniela Derntl, 25 Min., 25.4.2025)
Ich empfehle dir diese zwei Bücher von Julia Ebner.
Sie forscht seit vielen Jahren auf diesem Gebiet und hat selbst mehrmals undercover online und direkt auf Veranstaltungen von radikalen Gruppierungen recherchiert. Wenn du tiefer in das Thema eintauchen möchtest, sind diese beiden Bücher perfekt.

Radikalisierungsmaschinen
von Julia Ebner
„Das wichtigste Buch zum Thema Extremismus“ (MDR). Eine Undercover-Recherche unter Hackern, Trollen, Fundamentalisten, IS und Alt-Right – Wir Organisationen rekrutieren, wie die Sozialisierung funktioniert. Wie sie kommunizieren und Netzwerken und wie sie zu Taten anstiften.
Link zum Buch / Ebook
Massenradikalisierung
von Julia Ebner
„Wir stehen am Beginn eines Jahrzehnts der Massenradikalisierung“ – Julia Ebner versucht, das das „Massenphänomen Radikalisierung“ zu verstehen und recherchiert undercover bei den Incels, Klimawandelleugnern, White-Lives-Matter und bei Impfgegnern.
Link zum Buch / Ebook / Hörbuch
Ich unterstütze den österreichischen Buchhandel und bestimmte Gebraucht-Buchverkäufer. Die Links landen daher entweder bei Thalia oder bei Momox.
Welche Bedeutung haben Emojis, wenn Jugendliche sie verwenden?
Emojis können, je nach Alter und Kulturkreis für ganz unterschiedliche Begriffe oder Bedeutungen eingesetzt werden. Jugendsprache ist nicht überall gleich. Und sie wandelt sich stetig.
Wichtig ist zu verstehen: Kinder und Jugendliche kommunizieren anders als Erwachsene. Versuch mit ihnen mitzulernen. Frag sie nach der Bedeutung, oder welche Emojis sie wofür verwenden.
Im Online-Standard findest du eine Übersicht vieler Emojis, wofür sie verwendet werden und mit einem Versuch einer Einordnung (Stand Mai 2025):
„Mobbing, Drogen, Sex: Emoji-Codes, die Eltern kennen sollten“, derstandard.at, von Nadja Kupsa (Anm. ich ergänze: falls du mit Kindern und Jugendlichen arbeitest, solltest du auch einen Blick drauf werfen)
Mehr über Emojis erfahren:
Emojipedia – The World’s #1 Resource For Emoji Meanings, Emoji Copy and Paste, Emoji History & Emoji Designs