Teile des Interviews erschienen in der Kronen Zeitung am 29.12.2023 und auf krone.at – Link zum Artikel auf krone.at
„Krone“-Serie: „Schau schlau“ (Orientierung und Info für Kinder und Jugendliche)
Interview von Marie-Therese Leopoldsberger mit Smartphone-Coach Andrea Buhl-Aigner
Viele Experten sprechen von der Notwendigkeit endlich „Medienkompetenz“ als
Lehrfach zum gesunden Umgange mit Medien (auch mit dem Handy)
anzubieten. Wie sehen Sie das?
In meiner Beratung erlebe ich, dass sich Eltern und Lehrkräfte die Verantwortung
gegenseitig zuschieben. Wenn in der Schule Handys, Tablets oder Computer eingesetzt
werden, dann sollte auch der Umgang mit den Geräten im Alltag Teil der Übung sein.
Kindern ohne Begleitung unbeschränkten Zugang zu internetfähigen Geräten zu geben,
ist fahrlässig. Egal ob zuhause oder in der Schule.
Wie sehen Sie derzeit den Gebrauch von unseren Smartphones?
Smartphones sind ein fixer Bestandteil des Alltags und viele Funktionen bereichern und
erleichtern das Leben enorm. Tolle Geräte, keine Frage. Wenn ich mich auf der Straße,
im Bus, in der Arbeit und im Wohnzimmer umsehe, sehe ich nach unten-gerichtete
Gesichter, die auf Bildschirme starren. Der Griff zum Handy erfolgt wie automatisch, in
jeder Situation. Das ist kein Zufall. Schlaues Produktdesign und gezielter Einsatz von
bestimmten Mechanismen fördern das. Das finde ich sehr bedenklich. Das ist einer der
Gründe, warum ich Smartphone Coach gegründet habe.
Was beobachten Sie bei Ihren Klienten?
Eltern über 30 haben keine Erfahrungen mit smarten Geräten aus ihrer eigenen Kindheit
oder Jugend. „Du bist so oldschool“, hören sie zuhause von ihren Kids. Es fehlt viel
Wissen zur richtigen Begleitung und für Gespräche auf Augenhöhe. Gerade ab 10 oder 11
Jahren, wenn die Internetnutzung stark steigt. Wie leicht der Zugang zu Gewalt- und
pornografischen Inhalten online ist, ist vielen nicht bewusst. „Ich habe keine Lust und
Zeit mich mit dem ganzen Zeug zu beschäftigen“ höre ich oft. Oder: „Meine Tochter weiß
viel mehr als ich.“ Eine Tatsache, die Eltern häufig abschreckt. Die schnelle, digitale
Arbeitswelt macht den Menschen zu schaffen, das Smartphone ist Meister im Unterbrechen. Erreichbarkeit zu jeder Zeit und schnelle Ablenkung und Dauer-Berieselung gehen auf Kosten von Ruhe, Freizeit, Kommunikation, Konzentration und Kreativität.
Mit welchen Problemen kommen diese zu Ihnen?
Ich berate Eltern, die sich auf die kommenden Herausforderungen vorbereiten und ihre
Kinder im Netz schützen wollen. Die kommen vor dem 1. Handy. Und dann gibt es eine
Menge Familien, da eskaliert es schon. Die Mediennutzung läuft in irgendeiner Form aus
dem Ruder. Extreme Handyzeiten, Computerspielen ohne Ende, täglich energieraubende
Diskussionen, Wut, Stress, passives Familienleben, schlechte Erfahrungen in sozialen
Medien oder Bedenken wegen Gewaltinhalten. Bei denen fliegen schon die Fetzen und
manchmal sogar der FI-Schalter. Viele haben den Zug verpasst und merken, dass sie
etwas ändern müssen. Aber alle haben dasselbe Ziel: Sie wollen die Geräte bewusst und
selbstbestimmt nutzen, das Handy soll ein normaler Teil des Alltags werden.
Wie gehen Sie in Ihrer Arbeit vor? Was lerne ich bei Ihnen?
Sie bekommen eine Kombination aus Digital-Wissen, Handlungsalternativen und
Empfehlungen für Gespräche zuhause. Sie nehmen sich das, was Sie gerade brauchen
und zu Ihrer Erziehung und Ihrem Leben passt. Sie kennen Ihr Kind am besten, ich gebe
keine Erziehungsratschläge. Der Kurs besteht aus sehr kurzen Videos, Mini-Podcasts und
ein paar Vorlagen. Ich helfe Ihnen Gewohnheiten zu erkennen und zu sortieren: Was ist
gut und darf bleiben? Und was soll sich verändern? Im Programm lernen Sie, wie Sie Ihre
Kinder online schützen, Geräte richtig einstellen, die mentale Gesundheit erhalten und
Medienstress vermeiden. Sie lernen Soziale Netzwerke wie TikTok und Instagram
kennen. Und, besonders wichtig: es gib ganz viele Anregungen für Themen, die Sie
zuhause ansprechen oder mit Ihren Kindern gemeinsam ansehen. Ohne, dass Sie Digital-
Profi werden müssen.
Es gibt mittlerweile die psychische Diagnose der „Internetgebrauchsstörung“,
die Videospiele, Pornografie, Kaufsucht, Glücksspiel im Online-Bereich meint.
Ist das Handy mittlerweile ebenfalls ein – alltägliches – Suchtmittel?
Das Gerät an sich ist nicht gefährlich. Wenn jedoch Internetzugang, Soziale Medien,
Chat-Tools, Spiele-Apps, pornografische oder gewaltvolle Inhalte jederzeit unreguliert
verfügbar sind, ist das Handy definitiv ein geeigneter Eintrittspunkt zu allem, was Sie
genannt haben.
Ab wann wird das Smartphone zur Sucht? Welche Symptome lassen darauf
schließen?
Das Handy wird unentbehrlich. Es gibt keine Kontrolle über die Nutzung, auch nicht in
unangemessenen Situationen. Ist das Gerät nicht verfügbar, kommt es zu Stress oder
Streit. Das Interesse an Aktivitäten in der realen Welt sinkt, soziale Kontakte außerhalb
des Internets werden uninteressant und verschwinden. Verminderter Schlaf durch
übermäßige Nutzung in der Nacht, dadurch ein Leistungsabfall im Alltag. Wenn Sie bei
dieser Liste sehr oft nicken mussten, rate ich Ihnen, eine Beratungsstelle zu
kontaktieren.
Ein Alkoholkranker bleibt im besten Fall abstinent – was ist das Ziel bei einem
kontrollierten und gesunden Gebrauch eines Smartphones?
Das Ziel ist, dass Sie selbst bestimmen, wann und wie lange Sie Ihr Smartphone nutzen
und welchen Platz Sie den Geräten im Zusammenleben geben. Das sieht in jeder Familie
ein bisschen anders aus. Oft geht es auch um weniger Ablenkung und Unterbrechung,
mehr gemeinsames Erleben und um die Vorbildwirkung der Eltern.
Was raten Sie Eltern im Umgang mit Ihren Kindern in Sachen kompetenter
Handynutzung?
Verbieten bringt nichts. Regulieren Sie, aber lassen Sie sich drauf ein, seien Sie
neugierig! Wenn Ihr Kind mehr weiß als Sie – perfekt – lassen Sie sich die unbekannten
Dinge erklären. Sprechen Sie darüber, interessieren Sie sich dafür. Sie werden sonst den
Anschluss verlieren. Smartphones werden bleiben, gewöhnen Sie sich dran. Schützen Sie
Ihr Kind im Internet so, wie Sie es sonst auch tun. Sie würden Ihr Kind beim ersten Mal
vermutlich auch nicht allein auf die Straße schicken, oder in einem Raum voller Fremder
allein lassen.
Wie viel Zeit am Handy empfinden Sie als sinnvoll / tragbar?
Die ärztlichen Empfehlungen wie „max. 30 Minuten pro Tag bis 9 Jahre“ sind im digitalen
Schul-, Arbeits- und Familienalltag realistischerweise nicht machbar. Ich sage: so viel wie
nötig, so wenig wie möglich. Sorgen Sie lieber für ausreichend Hobbies und Alternativen
ohne Bildschirme.
Welche kompakten, konkreten Tipps haben Sie direkt an unsere Leser?
- Handys, Tablets & Laptops altersgemäß sichern (Google Family-Link, Apple
- Familienfreigabe)
- Kindersicherung bei YouTube nutzen, um Inhalte für Erwachsene zu filtern
- Jugendschutz bei Apps wie TikTok, Instagram und SnapChat aktivieren
- Spiele und sozialen Netzwerke, die Ihr Kind nutzt, selbst ausprobieren
- Bei Teenies Körperkult und Selbstdarstellung thematisieren
- Zuhause handyfreie Orte und Zeiten vereinbaren. Z.B. in den Schlafzimmern, am
- Esstisch, nach 19:00 Uhr am Abend
(Teile des Interviews sind am 29.12.2023 in der Kronenzeitung und auf krone.at erschienen – Link zum Artikel auf krone.at)